Kampf der Ideen

Dies ist das Manuskript des Vortrags, den Frauke Petry am 7. September 2024 beim Bürgergipfel in der Stuttgarter Liederhalle hielt:

Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Freunde der Freiheit,

seit langem spricht man vom Kulturkampf, wenn man auf die kulturellen Auseinandersetzungen innerhalb unserer Gesellschaft verweist, oder vom „Clash of Civilizations“, wenn man über den Kampf der Kulturen weltweit spricht.

Was ist das? Eine Kultur?Wenn ich heute von Kultur spreche, meine ich damit weniger die Frage, ob Sie Schweinshaxe, Mettbrötchen oder indisches Curry essen, ob Sie Krachlederne tragen oder einen Kaftan. Ich meine damit Vorstellungen, Denkformen, Empfindungs- und Verhaltensweisen, Werte.

Oder kurz gesagt: Ideen.

Nichts ist so mächtig wie eine Idee!

Ob eine Gesellschaft sich geduldig in einer Reihe anstellt, um den Bus zu besteigen, wie im Vereinigten Königreich üblich, ist einer kulturellen Übung geschuldet. Ohne einen besonderen Wert in der Idee der Höflichkeit und Rücksichtnahme zu sehen, wäre solches Verhalten unter Fremden nicht herstellbar, zumal es keinerlei Sanktionen bei Fehlverhalten unterliegt, wenn man einmal von sozialer Ächtung absieht.

Soziale Ächtung ist ein sehr scharfes Schwert.

Soziale Ächtung im Fall des Zuwiderhandelns kann dazu führen, dass wir in Gesellschaft nicht rülpsen, während das anderenorts sogar gewünscht ist. Soziale Ächtung und viel Schlimmeres bis hin zum Verlust des eigenen Lebens führen dazu, dass Frauen sich im arabischen Raum verhüllen.

In China existiert das Konzept kindlicher Frömmigkeit. Dieses erfordert Ehrerbietung gegenüber den Eltern, Älteren und den Führern der eigenen Nation. Auch dort führt Missachtung solcher kulturellen Übungen zur sozialen Ächtung. Diese kulturellen Besonderheiten, von denen es eine Vielzahl gibt, unterscheiden sich von Region zu Region auf dieser Welt.

Doch auch innerhalb Deutschlands existiert ein Kulturkampf, der mit den Mitteln der sozialen Ächtung geführt wird.

Soziale Ächtung konnte vor Jahren denjenigen treffen, der irreguläre Migration für nicht wünschenswert erachtete. Sie konnte denjenigen treffen, der sich keine Bratwurst zur Impfung bestellte oder trifft nun den, der den Bartträger in Frauenkleidern mit „Herr Schneider“ anspricht. Wir sind also heute auf dem Sanktionspfad für angebliches Fehlverhalten viel weiter vorangekommen.

Reden wir also über diese mächtigen Werkzeuge, die ganze Kulturräume beherrschen. Sprechen wir über Ideen!

Sprechen wir darüber, was unseren Kulturraum ausmacht, welche Idee unseren Kulturraum beherrscht. Sprechen wir darüber, wie sich diese Idee im Kampf der Ideen in den nächsten Jahrzehnten schlagen wird.

Wir leben im sogenannten „Westen“. Historischer Ausgangspunkt dessen ist Großbritannien und Westeuropa. Dazu gehören inzwischen Nordamerika, Australien, Neuseeland, erhebliche Teile Osteuropas und einige andere Regionen der Welt, zumindest in Teilaspekten.

Aber was unterscheidet den „Westen“ ideengeschichtlich von anderen Weltreligionen? – Es ist die Idee des Individualismus.

Egal, ob wir nach Afrika oder in den arabischen Raum auf dortige Stammeskulturen schauen, auf China, Zentralasien oder Südasien; immer begegnen wir Gesellschaften, in denen sich das Individuum der Gemeinschaft unterzuordnen hat, ja, ihr zu dienen hat. Der Wert eines Individuums in einer solchen Stammesgesellschaft oder einer Nation wie China, bemisst sich nach dem Wert des Individuums für die Gemeinschaft.

In Europa hat sich eine andere Sichtweise etabliert. Ich werde mich aus Zeitgründen auf das Ergebnis fokussieren, auch wenn die Entstehungsgeschichte interessant ist. Auf dem jüdisch-christlichen und antiken griechisch-römischen Fundament aufbauend, durch die Aufklärung fortentwickelt, bewerten wir den Wert einer Gesellschaft heute vor allem danach, welche Freiheits- und damit Entwicklungsmöglichkeiten sie dem Individuum lässt.

Ein Besucher aus dem All hätte Mitte des 17. Jahrhunderts wohl keinen Pfifferling auf Europa gesetzt, den zweitkleinsten der Kontinente. Vom 30-jährigen Krieg verheert und der Pest entvölkert, politisch zersplittert, sah alles auf den ersten Blick wenig vielversprechend aus. Aber die Kleinteiligkeit von Staatlichkeit und in dessen Folge ein fruchtbarer Wettbewerb wurden zum kraftvollen Motor wachsenden Wohlstands.

Die schrittweise Auflösung der Stände und die Freisetzung intellektuellen Potentials aus allen Bevölkerungsschichten leisteten einen wichtigen Beitrag. Die Möglichkeit des Denkens außerhalb gesellschaftlicher Normen löste wissenschaftliche Revolutionen aus. Europa wurde wissenschaftlich, militärisch, wirtschaftlich und in Folge auf allen Gebieten der Kunst so dominant wie noch keine Hochkultur zuvor. Selbst die beiden Weltkriege, die ganz wesentlich zwischen Europäern ausgefochten wurden, vermochten diese Stellung nicht zu brechen.

Erst seit dem Ende des Kalten Krieges, erst seit dem Fall der Mauer, erleben wir, wie zwei äußere Konkurrenten mit eigenen zentralen Ideen dem sogenannten „Westen“ Konkurrenz machen: Das ist zum einen das staatsautoritäre China und zum anderen der arabische Islamismus. Beide bauen auf Kollektivismus auf.

Ist der Individualismus, ist die Idee der Freiheit konkurrenzfähig gegenüber diesen Ideen oder sind wir zum Scheitern verurteilt, wie uns manche glauben machen wollen?

Merkel verwies mehrfach und unwidersprochen auf die Stärken des chinesischen Systems. Nicht wenige verweisen auf die Stärken tribalistischer Gesellschaften mit dominanten Glaubenselementen, wie sie der arabische Islamismus darstellt. Es waren gerade die deutschen Nationalsozialisten, die für beides große Bewunderung empfanden. Zum einen für den Tribalismus, also den Stamm, weil dies dem alten Germanentum entsprach, dem man sich näher fühlte als der römischen, staatsbildenden Tradition und zum anderen für den Islam als Glauben, dem man mehr Kampfeswillen und Opferbereitschaft zusprach als dem Christentum.

Aber was ist dran an der scheinbaren Überlegenheit dieser beiden Ideen gegenüber unserer? Stehen wir ihnen hilflos gegenüber?

Wir können es kurz machen: Beide waren chancenlos gegen die individualistisch geprägten europäischen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts.

Wir können weder China kopieren noch die Araber; jedenfalls nicht, ohne zu einer schlechten Kopie zu werden. Insbesondere können wir das nicht tun, ohne noch tiefer in einem internen Kulturkampf zu versinken, in dem wir bereits stecken.

Der Grund für unsere Probleme liegt darin begründet, dass wir keine individuelle Freiheit mehr leben. Wir sind zur Vollkaskogesellschaft ohne finale Verantwortung für unser Handeln geworden. Wir stecken längst partiell im Tribalismus, wenn wir fein säuberlich trennen zwischen BIPOCs und Biodeutschen oder zwischen Heterosexuellen und sogenannten Queers.

Es waren die Sozialisten, die unmittelbar mit der Abschaffung der Ständegesellschaft diese Gruppeneinteilungen wieder vornahmen. Die DDR hieß nicht nur aus Jux „Arbeiter- und Bauernstaat“. Die Idee des Tribalismus wohnt dem Sozialismus seit seiner Entstehung inne. Die heutige Ausprägung in Form des „Wokeismus“ ist lediglich die konsequente religiöse Fortentwicklung dieses Gedankens.

Natürlich stecken wir längst auch im Autoritarismus. Ob CO2-Budget, Ernährungserziehung oder die Einschränkung der freien Rede – Freiheit ist schon lange nicht mehr die oberste Maxime unserer Gesellschaft.

Der entscheidende Kampf wird also nicht nach außen gekämpft, sondern findet primär in unserer Gesellschaft statt, oder besser: Er findet zwischen Teilgesellschaften unseres Staatswesens statt. Die interne Bedrohung ist der Kollektivismus von rechts und links.

Beginnen wir mit der offensichtlichen Bedrohung, dem Wokeismus, also dem Kollektivismus von links, dem Marxismus 2.0. Die gute Nachricht? – Der Wokeismus ist zwar noch in Funktion und verfügt über erhebliche Macht, gleichwohl hat er den Kampf um die emotionale Vorherrschaft bei den Bürgern schon verloren.

Die Implementierung weiterer Repressionsinstrumente zur Festigung seiner Macht ist gesellschaftlich nicht mehr durchzusetzen. Wo vor wenigen Jahren noch Richter in Gerichtssälen und Beamte in ihren Amtsstuben saßen, beseelt von der Idee des Wokeismus, dort bröckelt es nun ganz gewaltig auch hinter der Fassade. Corona-Leaks, die harte Realität der grünen Selbstbestimmungsfantasien, die Verstümmelung von physisch gesunden Jugendlichen – die Anziehungskraft ist verloren gegangen und die Fußtruppen fallen in Scharen vom Glauben ab. 

Der endgültige Machtverlust wird dauern, aber aufzuhalten ist er nicht mehr. 2021 waren Grüne, SPD, Linke, FDP und erhebliche Teile der Union vom Wokeismus befallen. Und alle genannten Parteien tragen dieses Virus auch heute noch in sich. Doch Antikörper zeigen sich bei der Union immer deutlicher, sogar in der FDP trifft es auf vereinzelten Widerstand und bei den Grünen melden erste Vertreter Zweifel an diesem radikalen Weg an. Wenn sogar in der grünen Kathedrale des Wokeismus Ketzertum aufkeimt, wird für jeden sichtbar, dass der Kaiser nackt ist. 

Ich gebe keine Prognose, wie lange es dauert, aber ich lege mich fest: Seinen Zenit hat der Wokeismus in Deutschland vor rund zwei Jahren überschritten. Für alle Zweifler und Ungeduldigen: Politik beginnt mit Worten und derer sind zu viele gefallen, als dass die Woken den Widerstand gegen ihren mühsam gezimmerten Schubladen noch einfangen.

Als die mündige Öffentlichkeit begann, Ulrike Herrmann ernst zu nehmen mit ihren Phantasien von Degrowth und Bezugsscheinwirtschaft, wurde vielen plötzlich klar, wie ernst die Grün-Woken es mit dem Marxismus meinen. Über Jahrzehnte hatte man diese kleine Randgruppe schließlich nur zu randständigen Esoterikern erklärt, denen keine reale Macht würde zuwachsen können. 

Ein fataler Fehler, denn Parteien und große Strukturen sind ein ideales Spielfeld für radikale Ideologen jeder Art. Die Gräuel der französischen Revolution sollten jedem eine Warnung sein, was Strukturen durch Abhängigkeiten bewirken können, wenn sie in die Hände radikaler und entschlossener Ideologen geraten.

Kollektivisten, gleich welcher Art, streben nicht an, ihre Ideen mehrheitsfähig zu machen. Ihnen reicht es aus, Toleranz für ihren Totalitarismus zu erhalten, vorhandene Strukturen zu kapern und mit der Macht des Apparates konkurrierende Ideen mittels Beseitigung von „Free Speech“ und „Free Market“ zu unterdrücken.

Und damit kommen wir zu den rechten Kollektivisten. Die Ulrike Herrmann der Neuen Rechten heißt Götz Kubitschek. Natürlich werden seine Ideen so wenig mehrheitsfähig werden, wie diejenigen von Ulrike Herrmann. Zu einem Verbündeten der Freiheit macht es dieses Milieu damit noch lange nicht. 

Und weil es immer viel glaubwürdiger ist, die Protagonisten selbst sprechen zu lassen, zitiere ich hier Götz Kubitschek aus der Zeitschrift Sezession im September 2023, wo er schreibt:

„Zum einen habe die AfD im Gegensatz zu allen anderen Rechtsparteien in Europa ihre Stabilisierung und ihren Ausgriff auf über zwanzig Prozent der Wähler nicht durch eine Bewegung in Richtung liberalkonservativer Mitte erreicht. Vielmehr sei sie so erfolgreich aufgrund der unausgesetzt gesendeten Botschaft, es handele sich bei ihr tatsächlich um eine grundsätzliche Alternative ((welche das genau sein soll, lässt er offen, Anmerkung FP)).

Glaubwürdig vermittelt worden sei diese Bewegungsrichtung, weil die AfD durch dreimalige Häutung ihre Abwehrbereitschaft gegen ein Einschwenken in liberalkonservative Bahnen unter Beweis gestellt habe – wobei die zweite Häutung, die Frauke Petrys Netzwerk abstreifte, die riskanteste gewesen sei.“

Als Idee ist die Neue Rechte oder der Ethnosozialismus weit weniger anziehend als die Freiheit. Kubitschek weiß das und benennt immer wieder den Liberalismus und Individualismus als den einzigen noch ernst zu nehmenden Gegner, nicht die Wokeisten!

Lässt man jedoch die Neue Rechte Strukturen besetzen, die die Woken praktischerweise bereits installiert haben, fühlen sie sich pudelwohl und sind den Freiheitlichen naturgemäß überlegen.

Deshalb erwähne ich Kubitschek hier. Nicht weil er die bessere und massetauglichere Idee hätte, sondern weil er die Linken kopiert, weil seine Idee der Machtausübung nicht anders funktioniert als die der Ulrike Herrmann, nicht anders als die von Lenin, nicht anders als die der chinesischen KP oder letztlich auch der Mullahs. Jeder Totalitarismus hat als wichtigste Verbündete immer die Opportunisten, die er über einen Apparat zu steuern trachtet. Wie man damit sogar über Jahrzehnte deutsche Konzerne scheinbar für grüne, also marxistische, Ideen begeistern kann, können wir in Echtzeit beim Zerfall des einstig so erfolgreichen VW-Konzerns beobachten. 

Der Korporatismus ist ein mächtiges Einflussinstrument, für denjenigen, der es zu nutzen weiß. Niemand sollte meinen, dass sich das nicht auch mit jeder anderen totalitären Idee wiederholen ließe. Je komplexer ein Apparat, je diffuser die Struktur, desto wahrscheinlicher setzen sich Kollektivisten und Totalitäre durch. Ich nenne das den Heimvorteil der Kollektivisten!

Warum glaube ICH an die Freiheit?

Erstens, weil die Idee der Freiheit als einzige Idee langfristig mehrheitsfähig ist. Zweitens weil ihre Anhänger über die klügsten Köpfe verfügen.

Bildung erschafft Horden von Kollektivisten – vielleicht sollten wir es besser Verbildung nennen. Intelligenz und der sprichwörtlich eigene Kopf sind der Humus des Libertarismus. Ich hoffe, das heute vor diesem Publikum nicht begründen zu müssen.

Freiheit ist ein häufig gebrauchter Begriff. Die Grünen sprechen davon und haben in Thinktanks seit vielen Jahren diesen Begriff mit viel Eifer für sich reklamiert und inhaltlich besetzt. Vor wenigen Tagen konnte man Frau Göring-Eckard in einem Video hören, wie sie die Freiheit beschwor. Dass die Grünen eine liberale Partei seien, liest man nicht selten und natürlich liegt der Gedanke nahe, wenn man daran glaubt, dass beispielsweise die FDP eine liberale Partei sei. Ein besonderer Gruß geht hiermit an die leidgeprüften Mitglieder der FDP auch hier im Saal …

Friedrich Merz verwendet den Begriff der Freiheit zuletzt häufiger, ohne ihn konkret zu benennen oder mit seiner Partei gar ausfüllen zu können. Die AfD verwendet ihn zwar immer seltener, hat den Begriff aber gleichfalls keinesfalls aufgegeben. Die FDP führt die Freiheit gar im Namen, weshalb die Anhänger der Freiheit ihr die Verhunzung des Begriffs besonders übelnehmen. – Dass nahezu jede politische Bewegung die Freiheit für sich vereinnahmt, liegt daran, dass alle um ihre Anziehungskraft wissen.

Die große Stärke der Freiheit als politische Idee, ist inzwischen zu ihrem größten Problem geworden. Weil jeder von Freiheit spricht, jeder sie für sich reklamiert, jeder sie anders definiert, erscheint sie vielen inzwischen diffus, als leere Hülle nur noch für die eigene Überzeugung des Verwenders.

Das ist die Freiheit aber nicht. Wir müssen uns lediglich angewöhnen, die Definitionen häufiger sauber zu verwenden. Ich möchte mich daher heute mit Ihnen drei Begriffspaaren nähern.

1. Verantwortungsethik/GesinnungsethikDie Verantwortungsethik nach Max Weber ist das politisch-moralische Prinzip, das Handlungen nach ihren Ergebnissen bewertet. Sie müssen nicht reinen Herzens sein, dürfen es aber gleichwohl sein, wenn das Ergebnis Ihres Handelns wünschenswerte Resultate hervorbringt.

Stellen wir uns beispielsweise vor, dass Sie sich großen Reichtum erträumen, stellen wir uns vor, Sie seien dabei sogar gierig. Zu diesem Zwecke gründen Sie ein Unternehmen und stellen Automobile her. Sie werden märchenhaft reich, schaffen 100.000 Arbeitsplätze, haben Millionen zufriedener Kunden und zahlen Milliarden Steuern. Jeder Anhänger der Verantwortungsethik wird Ihnen vorbildliches Handeln attestieren.

Ganz anders der Gesinnungsethiker. Er fragt nach den moralischen Grundsätzen des Handelnden. Das Wollen zählt weit mehr als das Ergebnis. Es kam ihm in meinem Beispiel nicht darauf an, Arbeitsplätze zu schaffen und damit soziale Wohltaten zu ermöglichen, es ging auch gar nicht um die Kunden, sondern nur um den eigenen Gewinn. Gern würde der Gesinnungsethiker Ihrem Tun einen gesetzlichen Riegel vorschieben. Keine Autos, keine zufriedenen Kunden, keine Arbeitsplätze, keine Steuereinnahmen des Staates. Das soll Ihnen eine Lehre sein!

Und das Schlimmste daran? Die verhinderten Kunden, die verhinderten Arbeitnehmer und Zulieferer werden nie davon erfahren, was der Gesinnungsethiker getan hat. Der war ausschließlich damit beschäftigt Sie moralisch zu erziehen.

Nehmen wir aber an, Sie haben sich gegen die Gesinnungsethiker durchgesetzt und sind trotzdem wohlhabend geworden. Nun wünschen Sie sich ein Vermächtnis über Ihren Tod hinaus. Ihnen schwebt ein Krankenhaus vor, das durch eine Stiftung in seinem Bestand möglichst über Jahrhunderte gesichert werden soll. Das Krankenhaus soll Ihren Namen tragen. Selbstverständlich ruft auch das die Gesinnungsethiker auf den Plan. Diesmal geht es nicht gegen Ihre Gier, sondern gegen Ihren Stolz. Auch den wird man Ihnen wohl auszutreiben wissen. Dieses Krankenhaus muss verhindert werden. Vielleicht könnte man Sie enteignen und mit den so erworbenen Mitteln ein staatliches Krankenhaus halber Größe bauen. Den moralischen Ansprüchen wäre so am besten Genüge getan.

Sie verzeihen die Überzeichnung, aber wir erleben täglich, wie anfällig Politik für Gesinnungsethik ist – und absolut jeder Totalitarismus flüchtet sich in die Gesinnungsethik. Wozu Verantwortung für das eigene Tun übernehmen, wenn der feste Wille und die richtige Haltung ausreichen? Ob chinesische KP, das Mullah-Regime, die Sozialisten oder die Nationalsozialisten: Der feste Glaube und Wille, der gemeinsamen Ideologie zu dienen, zählt allemal mehr als ein gutes Ergebnis. 

Wichtig ist: Dieser Blick gilt nicht ausschließlich für den Apparat eines totalitären Systems. Jeder Apparat ist anfällig für Gesinnungsethik. Auch der freiheitliche Apparatschik ist davor nicht gefeit, seine vermeintlich richtige Weltsicht für ausreichend zu erachten, um ein Ministeramt anzustreben.

Und damit sind wir hier in Stuttgart: Völlig anders der Bürger! Dem ist die Frage der Motivation und Moral zumeist weit weniger wichtig als das Ergebnis. Bürger sind zumeist ausgesprochen pragmatisch, was politische Fragen betrifft. Während sich die Apparatschiks also in Gesinnungsethik sonnen, interessiert den Bürger zumeist das Ergebnis oder eben die Verantwortungsethik. Aber wo kämen wir hin, wenn Politik Verantwortung übernähme?

2. Negative/positive Freiheit – Die negative Freiheit wird auch als natürliche Freiheit bezeichnet. Es ist die Freiheit von äußeren Zwängen. 

Wenn mir niemand verbietet ein freiheitliches Medienunternehmen aufzubauen, stellt das natürliche oder eben „negative“ Medienfreiheit dar. Wenn niemand mir verbietet, mich mit Gleichgesinnten in Berlin zu einer Demonstration zu versammeln, stellt das natürliche oder „negative“ Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit dar. Wenn niemand mir verbietet meine Meinung zu äußern, stellt das natürliche oder „negative“ Äußerungsfreiheit dar.

Die sogenannte „positive“ Freiheit versteht sich hingegen als Garantie dafür ein Freiheitsrecht ausüben zu können. Es geht also um die vermeintliche Freiheit etwas tun zu können. Oder konkreter: Es geht darum, dass die Gesellschaft Ihnen all das Tun ermöglicht, was Sie aus eigener Kraft nicht bewältigen können.

Sie haben Berufsfreiheit, aber finden keinen Job? – Kein Problem, dann muss der Staat Ihnen einen besorgen. Diese Sorte Freiheit gab es z.B. in der DDR.

Sie haben Pressefreiheit, finden aber kein Presseorgan, das Ihre großartigen Ideen veröffentlichen möchte? – Kein Problem, dann gewährt der Staat Ihnen diese Sorte Freiheit beim ÖRR. Jetzt wissen Sie auch, wie die Horden skurriler ÖRR-Journalisten an Ihre Jobs kommen.

Sie haben das Recht auf Eigentum, aber kein Eigentum? – Der Sozialismus hilft. Jeder kann Eigentum haben, wenn der Staat es erstmal gleichmäßig enteignet. In der DDR war das so erfolgreich, dass alle über das sogenannte Volksvermögen verfügten …

Die sogenannte „positive“ Freiheit ist also nichts anderes als eine staatlich garantierte Handlungsoption. Sie sehen schon: Mit Freiheit hat das wenig zu tun. Tatsächlich handelt es sich um staatliche Freiheits-Bezugsscheine, die denknotwendig politischer Änderung unterliegen. Staatlich zugeteilte Handlungsoptionen sind ihrer Natur nach jederzeit mit einfacher gesetzlicher Mehrheit veränderlich.

Ein prominentes Beispiel ist das staatliche Rentensystem. Das deutsche Rentensystem gewährt jedem Arbeitnehmer ein sorgenfreies Leben im Alter; und zwar ab dem Alter von 63 Jahren, ach nein 65, ach nein 67, ach mal schauen …

Jedenfalls sichert Ihnen das staatliche Rentensystem die finanzielle Freiheit. Sie erwerben nämlich Rentenpunkte und die sind, um mit Robert Habeck zu sprechen, natürlich nicht weg, die sind bloß nichts mehr wert, wenn es dem Staat gefällt.

3. Libertas/Liberalitas – Die größte aller Begriffsverwirrungen geht zurück auf zwei lateinische Begriffe, nämlich Libertas und Liberalitas.

Libertas beschreibt die Freiheit des römischen Bürgers als persönliche Freiheit im Gegensatz zur Sklaverei. Der Begriff beschreibt im Wesentlichen Aspekte der zuvor erwähnten „negativen“ oder auch „natürlichen Freiheit“.

Daneben existiert der Begriff der Liberalitas. Die Liberalitas beschreibt eine Haltung, insbesondere der römischen Oberschicht, die einen moralischen Handlungskompass im gesellschaftlichen Verhalten darstellt. Danach waren Freigiebigkeit und Großzügigkeit Handlungsmaximen. Die Liberalitas stellte eine wesentliche römische Tugend dar.

Wer sollte dem widersprechen? Als persönliche Handlungsmaxime ist dagegen nichts einzuwenden. Moralisches Tun, Wohltätigkeit für diejenigen in der Gesellschaft, denen es weniger gut geht als einem selbst, all das sind erstrebenswerte persönliche Ziele.

Die Liberalitas war aber nicht nur Ergänzung der Libertas. Ihr Charme verfliegt, sobald sie von der persönlichen Tugend zur politischen Idee verkommt. Freigiebigkeit und Wohltätigkeit nicht als Tugend, sondern als politisches Konzept münden immer im staatlichen Verteilungskampf, in der ständigen Ausweitung sogenannter sozialer Wohltaten, verzuckert unter der Überschrift Gerechtigkeit. Niemand gibt dann noch aus freien Stücken und auch von Wohltat ist sehr schnell nichts mehr zu spüren. Der Staatsapparat nimmt und teilt zu.

Ein ganz aktuelles Beispiel für die verstaatlichte Liberalitas ist der Mindestlohn. Nach Abzug von Steuern und Abgaben vom Arbeitgeberbrutto beläuft sich die Zwangs-Liberalitas schon auf über 40 Prozent, nach Verbrauchssteuern wie Mehrwertsteuer, Mineralölsteuer, CO2-Steuer hören wir bei über 50 Prozent Abgabenquote für die unterste Einkommensschicht auf zu zählen. Beim Mindestlohn noch von einer Hilfe für die einkommensschwachen Bürger zu sprechen, ist Sozialisten-Propaganda in Reinkultur. Nirgends zeigt sich deutlicher als hier: die Senkung der Staatsquote wäre ein riesiger Schritt nach vorn, vor allem für diejenigen, die nicht das Geld haben, um sich der Staatsquote durch Abwanderung und Verlagerung von Geldvermögen zu entziehen.

Im anglo-amerikanischen Raum spricht man heute noch von den „Libertarians“ und den „Liberals“. Diese Unterscheidung existierte im deutschen Sprachraum lange gar nicht und zeigt sich erst seit einigen Jahren etwas stärker als Unterscheidung zwischen dem Libertarismus und dem Liberalismus. 

Wir sind allerdings weit davon entfernt, dass die Unterscheidung auch nur annähernd in der Breite der Bevölkerung verstanden würde. Ich spreche daher lieber von der Freiheit als Idee, Freiheit als natürliche Freiheit und als Nachfahrin der Göttin Libertas.

Der Liberalitas aber lassen wir bitte zukünftig den Platz, der ihr zukommt, als Tugend des Einzelnen. Als politisches Konzept mündet sie unmittelbar im Sozialismus und kann gerne mit der FDP beerdigt werden. Wir Sachsen sind diesbezüglich Trendsetter!

Freiheit als Libertas, als natürliche Freiheit verstanden, aber in Verantwortung vor den Ergebnissen, die die Ausübung der Freiheit mit sich bringt, sollte unser Leitbild sein.

Wir können uns dabei auf erfolgreiche Vorbilder berufen. Darunter ist eine, die die Briten bestimmt gern wieder auferstehen lassen würden, Margaret Thatcher. Sie sagte im Jahr 2000 anlässlich der Verleihung einer Ehrendoktorwürde an der Hofstras University auf Long Island:

„Freiheit ist ein völlig einfaches Konzept, das anscheinend für alle verständlich ist, außer für die ganz Schwachen oder die ganz Schlauen. Es ist der Zustand, in dem ein Mann (oder eine Frau) frei ist, seine Identität auszudrücken, seine gottgegebenen Talente auszuüben, Eigentum zu erwerben und weiterzugeben, eine Familie zu gründen, erfolgreich zu sein oder zu scheitern, in Frieden zu leben und zu sterben. Und die wichtigste Voraussetzung für diese freie Gesellschaft ist eine Rechtsstaatlichkeit, die auf Gerechtigkeit beruht und von unparteiischen Richtern gewahrt wird.“

Wir verfügen über die stärkste Idee, der Welt. Mir ist nicht bange, mit dieser Idee in Wettbewerb zu allen anderen Ideologien der Welt zu treten, wenn wir einen Grundsatz beachten: Das Heimspiel unserer Gegner findet in Apparaten und Strukturen statt. Niemals dürfen wir den Fehler begehen, sollten wir in Verantwortung kommen, wie bei jedem Regierungswechsel bislang, dem alten Wasserkopf eine neue Überstruktur mit vermeintlich „unseren eigenen“ Köpfen überzustülpen. Die Kollektivisten bewegen sich in einer Behörde wie der Fisch im Wasser. Deren Regeln, deren Spielplatz, das wäre unsere Niederlage, bevor das Spiel angepfiffen ist.

Verschlanken, transparenter machen, Individuen mehr Möglichkeiten eröffnen, Verantwortung an die Bürger, an die Familien zurückgeben, Strukturen dezentralisieren. 

Das ist der Stoff für Kollektivisten-Alpträume. 

Und davon brauchen wir in diesem Land so viel wie möglich!

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